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Hallo zusammen, ich heisse Nuria. Ich bin 17 Jahre alt. Ich wohne in Bern, und gehe ans Gymnasium.
Und ich habe sehr gerne Kunst, kann es aber nicht genau definieren, was jetzt genau Kunst ist. Das ganze Leben ist eigentlich Kunst für mich – und es ist vor allem auch eine Kunst, das Leben irgendwie zu meistern. Kunst ist auch etwas, womit Aufstände und Revolutionen gemacht werden können, und gesellschaftliche Verhältnisse verändert werden können. Und Kunst begegnet uns überall im Alltag.
Heute habe ich eine Begegnung mit einem Kunstwerk von Sarah Burger in Bern.
Kommt ihr auch mit?
NURIA: Das Schulhaus, wo wir uns gerade befinden heisst Brunmatt. Wir befinden uns hier auf einer Art Abgang, der in einen Keller oder vielleicht eine Garage fĂĽhrt, der mit einem Tor verschlossen ist. Es ist ein wenig einen unheimliche Stimmung. Und links und rechts von mir befindet sich jeweils eine Mauer, die hinunter fĂĽhrt. Und auf der einen Mauer befindet sich das Kunstwerk.
Das sind erstmal ein paar Linien – auf den ersten Blick, schwarze und rote Linien. Und ich weiss nicht, ob ich sagen soll, dass es eine Raubkatze ist, weil es sieht eher aus wie mehrere Raubkatzen. Wie ein Panther, der in sich verschmilzt, der mehrere Facetten hat. Das Werk, das ich hier sehe, ist nicht das Gesamtwerk, sondern es ist ein Teil aus einer Serie. Es gibt fünf solche Werke und die heissen zusammen “Old Friends” und sind von Sarah Burger. Diese Werke sind Wandmalereien, die an den unterschiedlichsten Orten in der Stadt Bern verteilt sind, auf Beton gesprüht worden sind. Diese sind in Zusammenarbeit mit Walter Frutiger entstanden und wurden 2021 realisiert.
Jetzt habe ich einige Fragen zu diesem Werk an die KĂĽnstlerin Sarah Burger.
SARAH BURGER: Hey Nuria, hallo, salut! So gut, danke vielmals für deine Auseinandersetzung mit meiner Arbeit “Old Friends”. Und für deine Fragen, die ich dir sehr gerne beantworte.
NURIA: Es hat gewiss eine bestimmte Bedeutung, dass das Werk gerade an dem Ort ist?
SARAH BURGER: Du stehst dort bei diesen zwei Löwen. Man redet von zwei Löwen. Und um diese Fragen zu beantworten beziehungsweise, sowieso das ganze Projekt kurz zu umreissen, muss ich schnell etwas "herauszoomen".
"Old Friends" ist eine Arbeit, die aus fünf Teilen, beziehungsweise jetzt noch vier Teilen, die in der Stadt Bern sichtbar sind, besteht. Und alle vier Motive sind Kopien von Höhlenmalereien, die in Chauvet gefunden worden sind. Und zwar sind dies alles Tierdarstellungen, die alle zwischen 32’000 und 37’000 Jahre alt sind. Das heisst, es hat vor so langer Zeit Menschen gegeben, die genau diese Zeichnungen gemacht haben. Und diese Zeichnungen sind so liebevolle Beobachtungen, so respekt- und fast demutsvolle Übertragungen dieser Tierwahrnehmungen in Linien auf Stein. Und dies berührt mich und fasziniert mich jedes Mal wieder unglaublich, wenn ich daran denke, in dieser Zeitdimension. Und es bleibt dann vielleicht offen, ob die alten Freunde nun die Tiere oder auch die Menschen sind, beziehungsweise, es können ja beide sein. Dass es dort vor rund 35’000 Jahren Menschen gegeben hat, Wesen gegeben hat, die heute immer noch sichtbar sind. Und dies in einer so wunderschönsten und auch genausten Präsenz – ja, in Englisch würde ich dann sagen “mindblowing”.
Und jetzt dies zu übertragen, diese Sujets in einen gegenwärtigen Kontext, in einen Alltagszusammenhang, der ein völlig anderer ist, das hat mich daran interessiert. Und gerade in einer Stadt wie Bern, die doch eine sehr graffiti-reiche Stadt ist. Da schien es mir der richtige Ort zu sein, um dies umzusetzen. Und ich habe ausschliesslich Betonwände ausgelesen, für das Anbringen dieser Zeichnungen; und eben solche, die nicht auf den ersten Blick super präsent sichtbar sind, sondern alle sind etwas versteckt, die man etwas suchen muss, oder die man vielleicht per Zufall antrifft. Ich meine, was für eine schöne – also meiner Ansicht nach – sehr schöne Ausgangslage: wenn jetzt jemand einfach so dort vorbei geht und per Zufall diese wenigen sehr präzisen Linien sieht und versteht diese Tierkörper, auf einmal diese Präsenz von zwei Löwen im Alltag von Bern. Ich finde dies eine sehr schöne Erweiterung der alltäglichen Zusammenhänge.
Und ja diese Wand dort bei der Brunmatt hat sich sehr schön angeboten: sie ist aus Beton, sie führt in eine so höhlenartigen Untergrund, und diese zwei Löwenlinien – oder vielleicht sind es auch drei, dies ist immer etwas unklar –, die haben sich so perfekt dort hingefügt, dass es einfach klar war: dieses Sujet muss dort hin.
NURIA: Und dann eine weitere Frage zur Machart, zur Entstehung: wie konnten diese feinen Linien hier so aufgetragen werden? Ist hier irgendeine Schablone verwendet worden und wie ist man ĂĽberhaupt auf die Idee gekommen mit diesem Motiv?
SARAH BURGER: Du hast Recht, es ist eine Schablone verwendet worden am Anfang. Also wir haben zuerst diese Abbildungen auf Kalkpapier übertragen und dann die Linien, die wir aufgezeichnet haben, also vor allem Walter Frutiger, du hast erwähnt, dass ich mit ihm zusammengearbeitet habe, er ist auch Künstler und Restaurator mit unglaublichen zeichnerischen Fähigkeiten, und einem riesigen Wissen, wie so etwas überhaupt umzusetzen ist. Diese Linien auf dem Kalkpapier, die sind alle gelocht worden und dann vor Ort haben wir es an die Wand gehalten und mit einem sogenannten Kreidestempel darüber gestempelt, so dass das Kreidepulver durch die Löcher auf die Wand geraten ist. Und als wir dann das Kalkpapier entfernt haben, dann konnten wir die Punktelinien entlang fahren und dann von diesem ersten Anhaltspunkt, die verschiedenen Tiere ausformulieren und zeichnen. Silikatkreide ist eine relativ simple Kreide, die gut auf Beton hält. Und mir war es sehr wichtig, dass die Art und Weise, die Farbqualität, die Technik wie es gemacht wird, relativ nahe an den tatsächlichen Höhlenmalereien ist. Also es wär mir überhaupt nie in den Sinn gekommen irgendwie mit Acrylfarben das aufzupinseln. Also in der Höhle war es vermutlich auch oft Kohle. Das kam nicht in Frage wegen der Beständigkeit. Aber Kreide, die wir dann auch noch versiegelt haben, die hält gut auf Beton, und schlussendlich ist auch Stein auf Stein.
NURIA: Also jetzt sind wir mit dem Tram zum zweiten Teil des Werks hingefahren. Wir sind hier beim Bollwerk, grad beim Hauptbahnhof Bern. Es ist sehr versteckt, also noch versteckter als das Erste. Es wäre mir nicht aufgefallen. Mir befinden uns hier beim Eingang zu einer Tiefgarage. Und wenn man hinaufschaut, sieht man eine Wand und dort ist das zweite Kunstwerk. Es ist weniger abstrakt als das erste Kunstwerk. Dort musste ich mir noch überlegen, ob es wirklich eine Raubkatze ist, oder nicht.
Dies hier sieht schon eindeutig nach Raubkatzen aus, und zwar ganz viele, wiederum ĂĽbereinandergelagert mit wenigen Strichen. Wirklich nur einzelne Linien, die aber eindeutig als Raubkatzen erkennbar sind.
Und meine Frage hier an die KĂĽnstlerin ist: sind diese Werke absichtlich so unsichtbar angebracht, an einem Ort, wo sie wahrscheinlich fast niemandem auffallen. Ist dies absichtlich so versteckt? Hat dies etwas zu bedeuten?
SARAH BURGER: Ja, also ich denke, der Kontext der Höhlenmalereien erklärt auch die Verstecktheit des zweiten Bildes, also jenes beim Bollwerk, welches auch eine Löwengruppe ist, welche in einer unglaublich schönen Dynamik von einem Löwenkopf in den andern wellt, würde ich sagen. Und es war auch ein Ort – ich bin in der ganzen Stadt Bern herumgelaufen und habe Orte gesucht, die sich eignen würden. Und dort bei der Einfahrt ist mir sehr schnell aufgefallen: auch wieder eine leicht höhlenartige Situation, die relativ unspektakulär ist, wo nicht viel passiert, respektive nur Autos, grosse Camions ein- und ausfahren.
NURIA: Dann habe ich noch eine Frage: wie wurde dies hier angebracht? Also es ist recht hoch oben. Wurden hier Leitern verwendet und wie wurde dies gemacht? Auch wenn Autos durchfahren – also ich weiss gar nicht, ob hier überhaupt Autos durchfahren, es sieht ziemlich verlassen aus – wie wurde dies realisiert? Und wer war alles daran beteiligt?
SARAH BURGER: Wie du beobachtest, es ist tatsächlich recht hoch angebracht. Da mussten wir mit einem Baugerüst arbeiten. Und die Überlegung, weil es ist der Lieferant*inneneingang der SBB, das ist tatsächlich tagsüber eine hoch frequentierter Ort. Also mussten wir in der Nacht arbeiten. Also ich liebe solche Aktionen. Ich habe es genossen mitten in der Nacht, zusammen mit Walter auf diesem Baugerüst herumklettern, mit Baustrahlern für die Beleuchtung. Und einfach selber in einer solchen Situation zu sein, wo ich mich auf einmal an einem Ort aufhalte zu einer Tageszeit, wo ich sonst nicht sein würde. Und dies ist insgesamt etwas, das mich sehr glücklich macht beim Kunst machen, immer wieder in Situationen hineingeraten, um Situationen schaffen zu können, wo ich die Welt immer wieder aus einer anderen Perspektive kennenlernen kann, Zusammenhänge wie Dinge funktionieren. Es ist recht viel Arbeit in der Umsetzung all dieser Zeichnungen.
Und an dieser Stelle an Walter Frutiger einen riesigen Dank noch einmal. Es war eine wunderschöne Zusammenarbeit mit ihm. Und ich konnte so viel davon profitieren für diese Arbeit von all seinem Wissen und von seinen Fähigkeiten, und es war eine tolle Zeit miteinander unter auch immer wieder aussergewöhnlichen Bedingungen, dies umsetzen zu können.
Und ja, danke fĂĽr deine Fragen! Ich hoffe, ich konnte sie beantworten.
Und so ein gutes Projekt, das ihr hier habt. Ich habe noch in die anderen Folgen reingehört und es ist sehr bereichernd zum zuhören.
Vielen Dank!
TschĂĽss.
°°
"ART'S COOL" oder "Art is cool"!
Dies ist eine Begegnung mit einem zeitgenössischen Kunstwerk in der Schweiz, betrachtet, erkundet, und hinterfragt von jungen Menschen. Auf die Fragen der Jugendlichen geben wiederum die Künstlerin oder der Künstler auf ihre Weise eine Antwort. Ganz einfach, nicht?
In dieser zweiten Saison lädt unser Podcast dich ein, Werke ausserhalb der üblichen Ausstellungsorte zu besuchen, meistens im Freien! Fast jede Woche entdecken wir gemeinsam eine künstlerische Schöpfung, die irgendwo in der Schweiz im öffentlichen Raum zu finden ist.
Heute ging es um das Kunstwerk "Old Friends " von Sarah Burger, untersucht vom neugierigen Blick von Nuria. Verpasse nicht, das Kunstwerk in Wirklichkeit selber zu entdecken, und zwar in Bern an vier verschiedenen Standorten, unter anderem beim Schulhaus Brunmatt und beim Bollwerk gleich neben dem Hauptbahnhof.
Sammle zeitgenössische Kunst mit deinen Ohren! Die Webseite artscool.ch/de präsentiert alle Episoden, die seit Herbst 2021 ausgestrahlt wurden. Eine vielfältige und wachsende Sammlung! Ausserdem findest du dort alle Portraits der jugendlichen Fans der zeitgenössischen Kunst, die Kurzbiographien der interviewten Künstlerinnen und Künstler und die Bilder der Werke.
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Der Podcast ART’S COOL wird realisiert und ausgestrahlt mit der grosszügigen Unterstützung der Loterie Romande, dem Migros-Kulturprozent, der Oertli-Stiftung, der Sandoz-Familienstiftung, den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Bern, Genf, Glarus, Graubünden, Obwalden, Sankt Gallen, Solothurn, Thurgau, Waadt, Wallis, Zug, Zürich, und den Städten Winterthur, Yverdon-les-bains, Zug und Zürich.
Mit der Stimme von Florence Grivel in der französischen Version und Stephan Kyburz in der deutschen Version.
Musik and Sounddesign von Christophe Gonet.
Dies ist eine Produktion Young Pods.