Hoi miteinander, ich bin Asiana, ich bin neunzehn Jahre alt und ich bin aus St. Gallen.
Kunst bedeutet für mich – es ist ein sehr grosser Begriff – aber ich würde sagen, wenn ich selber Kunst mache, etwas das mir Spass macht zu machen. Und wenn ich etwas anschaue, etwas, das mich inspiriert oder mir einen Gedanken gibt, oder etwas, worüber man reden kann. Das ist Kunst.
Heute habe ich eine Begegnung mit einem Kunstwerk von Carlos Martinez und Pipilotti Rist. Kommst du auch mit?
ASIANA: Ich bin gerade hierher spaziert von der Bushaltestelle Bleicheli, und gerade wenn ich in eine grosse Gasse einbiege, kommt man auf einen roten Boden, den roten Platz. Rund um mich herum sind recht moderne Gebäude, aber auch ältere Gebäude. Und alle haben viele Fenster, und zum Teil auch farbige Fassaden. Aber grösstenteils sind es graue, matte Farben. Die Stimmung ist so, dass einige Leute hier durchspazieren, es ist Teil der Stadt, das Kunstwerk. Es ist eingebaut in den Alltag. Und auf diesem Platz gehen Businessmenschen, Kinder, Jugendliche einfach durch. Und jetzt gehen wir das Kunstwerk zusammen entdecken.
Der Platz hat einen ganz grossen, roten Boden, wie ein roter Teppich. Auf dem Teppich gibt es viele Sitzbänke, Tische, die auch rot sind. Alles ist aus dem gleichen Material, das sehr organische, runde Formen hat. Es hat keine Ecken. Es sind alles abgerundete Formen, auf die man draufsitzen kann oder picknicken. Es hat auch einen Brunnen, der nicht oval oder rund ist, sondern eine verspielte Form hat. Und man sieht auf dem Platz auch Leute, die die Sitzgelegenheiten benutzen. Das Material, mit dem der ganze Platz und alle Stühle und Bänke bedeckt sind, ist so schaumig, luftig und er wirkt sehr leicht. Über uns hat es so riesige Bälle, die aussehen wie Perlen und die in der Nacht auch leuchten in verschiedenen Farben. Also jetzt am Tag sind sie weiss, in einer Art Perlenfarbe.
Das ist das Werk “Roter Platz – Stadtlounge St. Gallen” vom Architekten Carlos Martinez und der Multimedia-Künstlerin Pipilotti Rist. Das Werk befindet sich beim Raiffeisenplatz in St. Gallen und wurde 2005 realisiert. Es besteht aus einem roten Teppich aus Kunststoffgranulat und es ist mit Sofas, Stühlen, Tisch, Liegen und einem roten Porsche möbliert. Am Abend leuchten die Lichtkörper und der rote Platz ist ganze 2664 Quadratmeter gross.
Jetzt habe ich noch einige Fragen an den Architekten Carlos Martinez.
CARLOS MARTINEZ: Hallo Asiana, es freut mich, mit dir über die Stadtlounge St. Gallen sprechen zu können.
ASIANA: Ich frage mich, ob die rote Farbe und auch der rote Teppich eine Anspielung ist auf die roten Teppiche, wo jeweils Celebrities überschreiten bei Filmpremieren.
CARLOS MARTINEZ: Die rote Farbe hat viele verschiedene Gründe. Wichtig ist, dass es eine starke Farbe sein musste, weil das Quartier ja sehr zerklüftet war, sehr heterogen. Es musste ein starkes Statement sein. Wichtig ist mir natürlich auch zu sagen, dass das Logo der Raiffeisenbank damals nicht rot war. Es waren die Ähren: gelb, orange, blau. Also das Rot der Raiffeisenbank kam nachher, nach unserem Projekt der Stadtlounge. Und es ist schon so, dass der rote Teppich, das Auslegen des Teppichs für die Stadtbevölkerung, für die Nachbarn, für die Kunden, für das Volk, für alle legen wir den roten Teppich aus. Und so definieren wir zwar dieses Quartier stark, aber wir grenzen niemanden aus. Der rote Teppich wird ausgelegt.
ASIANA: Ich frage mich auch, ob die Stadt St. Gallen oder die Bevölkerung irgendwelche Widerstände geleistet haben bei dem Projekt oder ob ihr als Künstlerduo eingeladen worden seid, um dies zu realisieren.
CARLOS MARTINEZ: Ja, wir sind als Duo eingeladen worden, an dem Wettbewerb teilzunehmen. Es war quasi eine Pflicht, dass man sich als Künstler und Architekten oder Landschaftsarchitekten zusammen tut und daran teilnimmt. Das war für uns sehr, sehr schön. Ich kannte Pipilotti schon länger und wir haben auch schon zusammengearbeitet bei anderen Projekten, bei vielen verschiedenen Projekten. Es ist eine sehr gute und sehr feine Zusammenarbeit auf Augenhöhe – obwohl sie so ein Star ist. Und die Bevölkerung hatte am Anfang, also gewisse Bevölkerungsteile, ultra-soziale Bevölkerungsschichten haben uns vorgeworfen, dass wir quasi für eine Bank einen öffentlichen Raum gestalten, das ginge doch nicht. Meine persönliche Meinung ist aber, dass es die Stadtlounge nicht gegeben hätte ohne dieses public-private Project. Und dass diese 2.4 Millionen, die die Raiffeisenbank gezahlt hat, an die Oberfläche und Gestaltung, dass es ohne diese, die Stadtlounge politisch nicht gegeben hätte. Und so finde ich das eine Win-win-Situation für die Stadt, wie auch für die Bank, und auch für uns.
ASIANA: Wieso rot? Und wieso nicht eine andere Farbe. Und im Nachhinein, wenn Sie dieses Projekt nochmals umsetzen könnten, würden Sie eine andere Farbe nehmen?
CARLOS MARTINEZ: Nein, ich würde keine andere Farbe wählen. Es ist das Rot und genau dieses Rot, das mir sehr gut gefällt und das eigentlich diese Stadtlounge ausmacht. Man hat mich schon sehr hartnäckig bei einer Preisübergabe, als wir die Gesamtsieger wurden vom Marketing- und Architektur-Award, hat man mich in Luzern gefragt, ob ich für Luzern einen blauen Platz machen würde. Da muss ich natürlich sagen “Nein”, wir würden für Luzern keinen blauen und auch keine Stadtlounge machen. Das ist einzigartig, das ist St. Gallen. Und Rot ist die einzig richtige Farbe, finde ich.
ASIANA: Was mich auch noch mega Wunder nimmt, ist der Porsche. Hat der eine Bedeutung? Ist dies gefragt worden, einen Porsche als Teil des roten Platz zu machen?
CARLOS MARTINEZ: Da das Quartier so zerklüftet war und einzelne Teile ganz verschieden waren und ganz verschiedene Aufgaben birgden, haben wir für jeden einzelnen Teil ein Thema gewählt: quasi die Garderobe, Vorplatz der Synagoge, der Begegnungsraum, der Brunnen, und so weiter. Und bei diesem Teil wo der Porsch steht, da hatten wir Parkplätze, die wir nicht weglassen konnten und wollten da aber, wo die Stadtlounge genau an die Fussgängerzone andockt, da wollten wir etwas Spezielles schaffen. Nun war es so, dass ich natürlich vom Gefühl her sicher war, dass wir nicht irgendeine Couch oder irgendeine Sitzgelegenheit zwischen den Autos machen konnten. Und auch irgendeine andere Skulptur hätte keinen Sinn. So kam die Idee, einen Porsche, dieses Luxusgefährt, diese sehr einfach wiedererkennbare Form, diesen Porsche unter den Teppich zu kehren bei dieser Stadtlounge, unter den roten Teppich. Und es ist auch gewünscht, dass man auf den Porsche klettert, dass die Kinder darauf springen können. Und er ist auch sehr, sehr beliebt. Er ist nicht zufällig an diesem Ort parkiert. Er hat auch einen Bussenzettel bekommen. Es gibt so eine Geschichte, die ich immer gerne erzähle von dem Münchner, der nach St. Gallen kam und nicht wusste, dass an diesem Freitagabend der Teppich ausgerollt wurde, und so sein Porsche unter den Teppich kam.
Aber von Porsche hatten wir gar keine Unterstützung. Wir haben mehrmals nachgefragt, damit wir die Form nachbauen konnten. Haben das aber nicht erhalten. Interessant ist an der Geschichte, dass wir die anderen Möbel alle ausprobiert haben in einem kleinen Massstab, in Ton damals. Und die dann eingescannt haben und dann vergrössern konnten von der Form her, nachdem wir wussten oder sicher waren, dass die Formen stimmen. Beim Porsche haben wir lange gesucht, wie wir diese Pläne bekommen, bis dann unser Lehrling gesagt hat, oder auf die Idee kam, wieso kaufen wir nicht ein Porschemodell und scannen dieses ein. Das haben wir dann gemacht und so war es dann viel einfacher diese Form dieses Porsches in dieser Originalgrösse herstellen zu können. Es ist natürlich ein Kunststoffporsche darunter, den wir in Handarbeit erstellt haben. Aber es gibt heute noch viele Leute, die sagen, es sei ein echter Porsche da, weil ich mir den Scherz erlaubt habe mit meiner Frau Fatima zusammen, einen Porsche zu mieten, besser gesagt: ich habe ihn von der City-Garage für ein Wochenende zur Verfügung gestellt bekommen, als ich ihnen von der Idee erzählt habe. Dann haben wir den Porsche hingestellt am Donnerstagabend, Abendverkauf, Freitag, Samstag. Es haben ihn sehr viele Leute gesehen. Am Sonntag sind wir dann selber mit ihm gefahren, haben dies genutzt. Und am Montag ist dann dieser Kunststoffporsche drauf gekommen, auf die Baustelle. Und es hat heute noch St. Galler, die sagen, es ist ein echter darunter, ich habe es gesehen.
Ich danke dir Asiana für das Gespräch, das kurze und interessante Gespräch, und für das Interesse an unserer Stadtlounge in St. Gallen.
°°
ART'S COOL oder "Art is cool"!
Dies ist eine Begegnung mit einem zeitgenössischen Kunstwerk in der Schweiz, betrachtet, erkundet, und hinterfragt von jungen Menschen. Auf die Fragen der Jugendlichen geben wiederum die Künstlerin oder der Künstler auf ihre Weise eine Antwort. Ganz einfach, nicht?
In dieser zweiten Saison lädt unser Podcast dich ein, Werke ausserhalb der üblichen Ausstellungsorte zu besuchen, meistens im Freien! Fast jede Woche entdecken wir gemeinsam eine künstlerische Schöpfung, die irgendwo in der Schweiz im öffentlichen Raum zu finden ist.
Heute ging es um "Roter Platz - Stadtlounge St.Gallen" von Pipilotti Rist und Carlos Martinezunter dem neugierigen Blick von Asiana. Verpassen Sie es nicht, das Kunstwerk in St. Gallen auf dem Raiffeisenplatz selbst zu entdecken.
Sammle zeitgenössische Kunst mit deinen Ohren! Die Webseite artscool.ch/de präsentiert alle Episoden, die seit Herbst 2021 ausgestrahlt wurden. Eine vielfältige und wachsende Sammlung! Ausserdem findest du dort alle Portraits der jugendlichen Fans der zeitgenössischen Kunst, die Kurzbiographien der interviewten Künstlerinnen und Künstler und die Bilder der Werke.
Falls du zur Verbreitung des Podcasts ART’S COOL beitragen möchtest, zögere nicht… in deinem Umfeld darüber zu sprechen, den Podcast auf deiner bevorzugten Plattform zu abonnieren und mit fünf Sternen zu bewerten. Du kannst uns auch auf Instagram folgen unter dem Account young_pods.
Der Podcast ART’S COOL wird realisiert und ausgestrahlt mit der grosszügigen Unterstützung der Loterie Romande, dem Migros-Kulturprozent, der Oertli-Stiftung, der Sandoz-Familienstiftung, den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Bern, Genf, Glarus, Graubünden, Obwalden, Sankt Gallen, Solothurn, Thurgau, Waadt, Wallis, Zug, Zürich, und den Städten Winterthur, Yverdon-les-bains, Zug und Zürich.
Mit der Stimme von Florence Grivel in der französischen Version und Stephan Kyburz in der deutschen Version.
Musik and Sounddesign von Christophe Gonet.
Dies ist eine Produktion Young Pods.