Hoi zusammen, ich bin Lilli, bin sechzehn Jahre alt. Und ich wohne in Kreuzlingen.
Für mich ist Kunst etwas Kreatives, um sich auszudrücken. Und man kann gut zeichnen, wenn es einem langweilig ist oder auch beim Lernen. Mir hilft das manchmal, mich zu konzentrieren.
Heute habe ich eine Begegnung von Markus Brenner in Kreuzlingen. Kommt ihr auch mit?
Wir sind hier im Zentrum von Kreuzlingen bei der Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie und stehen auf einem Platz neben einem Brunnen.
Wir sind jetzt beim Kunstwerk angekommen und dieses steht auf einer kleinen Wiese und rundherum hat es einige Bäume und weiter hinten sieht man einen Wohnblock und die alte Psychiatrie. Das Wetter ist recht bewölkt, aber die Sonne scheint etwas durch.
Man sieht ein weisses Bett mit einem Kissen darauf. Und es scheint als wäre es aus Stein. Das Kissen hat eine Einwölbung, so als wäre gerade ein Mensch dort gelegen. Als wäre es Morgen und der Mensch wäre gerade aufgestanden und das Bett wäre so hinterlassen worden. Es wirkt nicht sehr bequem, weil es hat auch keine Decke. Es steht in einer recht leeren Umgebung, also auf einer grünen Wiese, deshalb wirkt es ein Bisschen traurig.
Das ist das Werk “Die Couch” von Markus Brenner. Das Werk befindet sich auf dem Bellevue-Areal in Kreuzlingen und es ist 2017 realisiert worden. Es ist eine Skulptur aus Beton und in der Nacht kann man eine Lichprojektion darauf sehen. Nur leider sind wir nun bei Tageslicht hier, deswegen sieht man die jetzt leider nicht.
Jetzt habe ich noch einige Fragen an den Künstler Markus Brenner.
MARKUS BRENNER: Hallo Lilli, hier ist der Markus Brenner. Schön, dass du “Die Couch” in Kreuzlingen besucht hast.
LILLI: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Bett einfach mitten in Kreuzlingen hinzustellen oder zu realisieren?
MARKUS BRENNER: Die Stadt Kreuzlingen hat im Jahr 2016 einen Kunstwettbewerb veranstaltet, um an eine bedeutende psychiatrische Klinik zu erinnern. Diese Heileinanstalt befand sich in einem Park in Kreuzlingen, dem sogenannten Bellevue-Areal. Und ich habe mit meiner Idee “Die Couch” den Wettbewerb gewonnen. Und so steht “Die Couch” heute neben dem historischen Verwaltungsgebäude der ehemaligen Klinik.
LILLI: Und wie sind Sie allgemein auf die Idee gekommen aus Beton eine Couch oder ein Bett zu fertigen.
MARKUS BRENNER: Ich beziehe mich mit meinem Kunstwerk auf das wohl berühmteste Sofa der Welt, die Couch von Sigmund Freud. Sigmund Freud ist der Begründer der Psychoanalyse und seine Patienten lagen auf diesem Sofa während sie therapiert wurden. Die Couch wurde nicht zuletzt durch Hollywoodfilme zu dem Symbol schlechthin für psychische Behandlungen, auch wenn heute psychotherapeutische Sitzungen meistens auf einem Sessel stattfinden.
LILLI: Wieso genau an diesem Ort beim Bellevue-Areal, und nicht sonst irgendwo, wo man sich hinsetzen könnte in der Stadt, sondern etwas abgeschottet?
MARKUS BRENNER: Die psychiatrische Klinik auf dem Bellevue-Areal war riesengross und von hohen Hecken und Bäumen umgrenzt. Die Patienten dort lebten abgeschottet in einer eigenen Welt, sehr weit weg vom Alltag in Kreuzlingen. Ausserdem wollte ich, dass meine Couch eher ein Ort zum Entspannen oder zum Träumen ist. Das passt also besser an einen idyllischen, ruhigen Ort.
LILLI: Warum haben Sie Ihr Werk “Couch” genannt, wenn es doch eher wie ein Bett aussieht.
MARKUS BRENNER: Die originale Therapiecouch von Sigmund Freud sieht nicht sehr chic aus, eher wie ein Bett, ein kurzes Bett, wo die Patienten mit dicken Kopfkissen gestützt wurden. Charakteristisch für diese Couch war ein Orientteppich, der immer auf dem Sofa lag. Auch an der Wand neben dem Sofa hing eine Orientteppich. Es heisst, dass Sigmund Freud der Meinung war, die Orientteppiche würden eine Atmosphäre schaffen, in der seine Patienten freier und hemmungsloser von Ihren Phantasien erzählen konnten. Damals waren Orientteppiche viel exklusiver als heute und sie repräsentieren eine märchenhaftes Image von 1001 Nacht. Die Originalcouch mit Orientteppich steht ausserdem heute im Freud-Museum in London.
In Kreuzlingen wird der Teppich Nachts über die Betonskulptur projeziert. Ich habe vom Museum in London vom originalen Teppich dafür erhalten und mit Anbruch der Dunkelheit legt sich der Teppich über die Couch und das Kunstwerk zeigt ein völlig anderes Gesicht. Aus einem Bett aus Beton wird eine Lichtskulptur, die an die Couch von Sigmund Freud erinnert.
LILLI: Und wieso haben Sie das Bett aus Beton gemacht, aus einem harten Material und nicht aus einem weichen, damit man sich auf draufsetzen könnte und es bequem wäre.
MARKUS BRENNER: In der Kunst macht man häufig Dinge, die nicht naheliegend sind oder gar sinnvoll erscheinen – im Gegenteil. Auch unser Leben ist irgendwie so etwas zwischen hart und weich. In meiner künstlerischen Arbeit suche ich regelmässig nach paradoxen Zuständen, die irgendwie nicht zueinander passen wollen.
Abgesehen davon ist Beton ein tolles und robustes Material.
Und auch Sigmund Freud wollte es seinen Patienten nicht allzu bequem machen: einschlafen sollten sie nicht.
Liebe Lilli, bleib weiterhin offen und neugierig für die Kunst. Das wäre toll.
Ganz herzliche Grüsse!
°°
"ART'S COOL" oder "Art is cool"!
Dies ist eine Begegnung mit einem zeitgenössischen Kunstwerk in der Schweiz, betrachtet, erkundet, und hinterfragt von jungen Menschen. Auf die Fragen der Jugendlichen geben wiederum die Künstlerin oder der Künstler auf ihre Weise eine Antwort. Ganz einfach, nicht?
In dieser zweiten Saison lädt unser Podcast dich ein, Werke ausserhalb der üblichen Ausstellungsorte zu besuchen, meistens im Freien! Fast jede Woche entdecken wir gemeinsam eine künstlerische Schöpfung, die irgendwo in der Schweiz im öffentlichen Raum zu finden ist.
Heute ging es um das Kunstwerk "Die Couch" von Markus Brenner, untersucht vom neugierigen Blick von Lilli. Verpasse nicht, das Kunstwerk in Wirklichkeit selber zu entdecken, und zwar auf dem Bellevue-Areal in Kreuzlingen im Kantons Thurgau.
Sammle zeitgenössische Kunst mit deinen Ohren! Die Webseite artscool.ch/de präsentiert alle Episoden, die seit Herbst 2021 ausgestrahlt wurden. Eine vielfältige und wachsende Sammlung! Ausserdem findest du dort alle Portraits der jugendlichen Fans der zeitgenössischen Kunst, die Kurzbiographien der interviewten Künstlerinnen und Künstler und die Bilder der Werke.
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Mit der Stimme von Florence Grivel in der französischen Version und Stephan Kyburz in der deutschen Version.
Musik and Sounddesign von Christophe Gonet.
Dies ist eine Produktion Young Pods.